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jugendfänger schönheitschirurgie

Die kosmetische Chirurgie war bislang vor allem Stars, Topmodels und welkenden Millionärsgattinnen vorbehalten. Nun formatieren Skalpell und Spritze auch die Frau von nebenan. Das Fernsehen betätigt sich in diesem Geschäft als Marktschreier und widmet, kaum dass die Welle der Reality- und Castingshows verebbt ist, den Schönheitsoperationen gar ein eigenes Format. Die Wirkung lässt nicht auf sich warten: Im Vorreiterland USA legen sich schon erschreckend viele Teenager für die erträumten Maße unters Messer – und es werden immer mehr. Make-up war gestern. Die Zukunft der Typvollendung heißt 'Extreme Makeover'.

Bulletin Jugend & Literatur | 1-2005


Computergrafik: Leowee, Berlin 2008

Als »self-made woman« will die amerikanische Skalpellvenus Cindy Jackson sich verstanden wissen und propagiert ihre künstliche Schönheit, die sie mit rund 40 Operationen erlitten hat, als emanzipatorischen Sieg über die biologische Willkür. Auf unzähligen Medienfeldzügen verteidigt sie den Kunstkörper unter der Fahne der Chancengleichheit nicht nur als die gerechte Sache schlechthin, sondern erobert sich auch Ruhm und Reichtum. Das Geld braucht sie für die permanenten Upgrades, die der erbarmungslose Verfall ihrer organisch-synthetischen Substanz verlangt. Aussehen wie Barbie – eine Lebensaufgabe. Denn so gespenstisch es klingt, die konkrete Vorlage für ihren von Menschenhand geformten Körper war keine andere als die wohl meist vervielfältigte Puppe der Welt. Endlich entspreche ihr Aussehen ihrer wahren Persönlichkeit, schwärmt der Barbie-Klon, darum sei es auch natürlicher als die Natur selbst.

Über die Beschaffenheit einer Persönlichkeit, die sich mit dem Produkt einer Puppendesignerin in Deckung bringt, möchte man eigentlich nicht näher nachdenken. Angesichts der boomenden Artefakte im Bereich der kosmetischen Chirurgie und ihrer massenmedialen Vermarktung werden wir uns indes um die Identität einer heranwachsenden Generation sorgen müssen, die sich ebenfalls dazu verführen lässt, ihr Seelenheil im Silikon zu suchen (»Generation Silikon«, höhnte unlängst der Spiegel).

Neue Nase, neues Ich?

Denn solange die Quote stimmt, ist den Machern privater Fernsehanstalten nichts heilig, schon gar nicht die Würde ihrer Zielgruppe. So hat der Musiksender MTV letzten Sommer ein skandalöses Format aus den USA importiert: I want a famous face zeigte Zwanzigjährige, die sich zu Elvis- oder J. Lo-Imitaten umoperieren ließen, mit der Illusion, danach zu glänzen wie ihre Idole.
Das hat nichts mehr mit dem Experimentierfeld Pop zu tun, auf dem Heranwachsende ihren Stil suchen und dabei den Look ihrer Stars kopieren. Angesichts der Skrupellosigkeit dieser Serie entpuppte sich der Jugendschutz einmal mehr als Schimäre. Zwar regt sich von Seiten der Politik oder der Bundesärztekammer Kritik an der medialen Bagatellisierung schönheitsoperativer Eingriffe. Allein an Handlungsspielraum fehlt es, Fernsehshows wie diese rechtskräftig zu unterbinden.

Zuletzt berieselte der deutsche Ableger der amerikanischen Doku-Serie The Swan – Endlich schön! Millionen von Zuschauern. Angeblich hässliche Entlein ließen sich auf Kosten des Senders von Chirurgen, Zahnärzten und Fitnesstrainern in schöne Schwäne verwandeln. Während ihrer dokumentierten zweimonatigen Metamorphose waren für die Kandidatinnen alle Spiegel tabu, der erste atemlose Blick in ihr brandneues Antlitz dann der Clou.
Ein Schuft, wer angesichts der Fassungslosigkeit in ihren gekünstelten Mienen Böses dachte und durch die Freudentränen Selbstbefremden schimmern sah. Ob die aufgemotzte Fassade innere Risse wirklich heilen oder den verflossenen Partner zurückholen kann, ist mehr als fraglich. In einer schwedischen Studie erwies sich die Suizidrate bei Frauen mit Brustimplantaten jedenfalls als signifikant höher als bei Frauen mit natürlicher Brust. Ein neuer Busen stärkt ihr morsches Ich offenbar nicht.

Vom Ideal zur Norm

Kulturell liegt dem ewigen Wunsch nach Schönheit die Sehnsucht nach Liebe und Anerkennung zugrunde und schon immer haben Frauen alles mögliche durchgestanden, dem Ideal ihrer Zeit zu entsprechen – identifiziert die patriarchale Gesellschaft sie doch vorrangig mit ihrem Körper. So exklusiv Schönheitsideale einerseits sind, da nur die wenigsten sie jeweils erfüllen können, so normativ wirken sie andererseits. Die Schönheitsindustrie normt kräftig mit, denn ihre Konjunktur fußt auf den suggerierten Defiziten ihrer Käufer. Angesichts der perfekt retuschierten Körper, die uns in Werbespots und Videoclips umschmeicheln, kann uns das eigene Spiegelbild nur kränken.

Gerade Jugendliche, die ob der turbulenten Körpervorgänge der Pubertät ohnehin stark verunsichert sind, befürchten, den von der Werbung verhängten Selektionskriterien nicht zu genügen. Lautet nicht die bange Frage, die in allen Fragen an das Dr. Sommer-Team der BRAVO mitschwingt: Bin ich normal? Jugendliche sind leichte Beute, wenn die Schönheitschirurgie Erlösung verspricht. Fettabsaugen, Füllen und Feilen werden nicht nur enttabuisiert, sondern mit steigender Nachfrage auch immer erschwinglicher. Warum ihrem Ideal also länger hinterher hecheln, wenn sie sich einfach danach zurecht schnippeln lassen können – weil sie es sich wert sind?

Die Mädchenzeitschriften der 80er und 90er trugen noch einer gewissen Individualität Rechnung, wenn sie unter dem Motto 'Entdecke deinen Typ' Tipps rund um passendes Outfit, Schminke und Haarstyling erteilten. Mit dem Trend zur operativen Korrektur hat die Individualität verloren. Die Körbchengrößen A und B werden aus den Kaufhäusern verschwinden. Nasen der Marke Nicole Kidman gibt es vielleicht bald im sparsamen Dreierpack. Und Mimikfalten, Ausdruck des unverwechselbaren Charakters, könnten eines Tages als ungepflegt gelten.

Schönheit in Jugendratgebern

Die Jugendliteratur reagiert auf den Trend zur operativen Gleichschaltung der Körper bislang spärlich. Der meines Wissens einzige Ratgeber zum Thema Schönheitsoperationen stammt aus der Feder der Wiener Erfolgsautorin Barbara Büchner. Diplomatisch wägt die bekennende Nasenoperierte ab zwischen Verdiensten und Anmaßungen der plastischen Chirurgie, zwischen gerechtfertigten Eingriffen wie dem Anlegen abstehender Ohren und solchen, die unsichere Mädchen anvisieren, um eine andere zu werden. Seriös erklärt Büchner die OP-Methoden samt Risiken und erstellt hilfreiche Checklisten. Dennoch hätte sie ihre Chance, Mädchen von unsinnigem Geschnippel abzubringen, eindringlicher nutzen können, etwa durch Erhellung des kulturellen und ökonomischen Kontexts.

Der kritische, teils wissenschaftlich fundierte Rundumschlag zum riskanten Körperkult in Form von Essays und Portraits scheint mir bei Bodytalk dagegen vorbildlich geeignet, das verkümmerte Selbstbild naiver Scheinweltfetischisten positiv zu revidieren.

Ein solches Vorhaben hätte ich auch unter dem Titel Ich mag mich. Entdecke deine Schönheit von Sylvia Schneider vermutet. Doch statt die Leserin zu ermutigen, ihre Schönheit in ihrer Einzigartigkeit zu suchen, erteilt sie nur die klassischen Tricks von Brauenzupfen bis zarte Haut – wenigstens keine OPs!

Emanzipatorischer ist Das andere Mädchenbuch, das mit Themen wie Freundschaft, Pubertät und Jobs allerdings über einen Schönheitsratgeber hinaus geht. Ihr Körpermotto 'Fühl dich wohl in deiner Haut' nehmen diese Autorinnen ernst, wenn sie als zentrales Schönheitsrezept eine gesunde Ernährung oder den Heilsport Yoga empfehlen. Gäbe es doch dazu eine TV-Doku! Aber welche Industrie könnten schon die Kräfte der Natur hypen…

 

Bibliografie

Barbara Büchner: Schönheitsoperationen. Methoden, Risiken, Entscheidungshilfen. Wien: Ueberreuter (talk about) 2003. 119 Seiten.

Andrea Hauner/Elke Reichart: Bodytalk. Der riskante Kult um Körper und Schönheit. München: dtv (Reihe Hanser) 2004. 204 Seiten.

Patricia Mennen/Birgit Rieger: Das andere Mädchenbuch. Erste Liebe, das erste Mal, Schönheit und Fitness. Ravensburg: Ravensburger, 3. Aufl. 2004. 216 Seiten.

Sylvia Schneider: Ich mag mich. Entdecke deine Schönheit. Wien: Ueberreuter (talk about) 2003.